Zum Nachdenken

21.10.2021
Zum Nachdenken

Zwischen Tierliebe und Ratlosigkeit

Zwischen Tierliebe und Ratlosigkeit

Linus, Sina, Rob und Luna, 4 schwache, kleine Katzenkinder, sitzen nun schon seit 3 Wochen in der Quarantäne. Erst ein paar Tage alt waren sie, als sie auf einer Mülldeponie ohne Mutter gefunden wurden.
Schnupfen, Augenentzündungen, Durchfall, Darmparasiten, Würmer und Flöhe sind die geringsten Probleme, die sie haben.
Neben langen Schlafphasen kommen dafür kurze Futterintervalle. Ja, so ein kleines Kätzchen braucht alle 2 Stunden die Flasche, 24 Stunden lang. Infusionen, Entwurmungen, Impfungen. So einiges müssen die 4 Waisen über sich ergehen lassen.

Doch die Mühen lohnen sich: Nach etwa 5 weiteren Wochen ist es geschafft, alle Kätzchen sind wohlauf, fit, verspielt und stehen endlich zur Vermittlung bereit. Luna hat immer noch etwas Durchfall und ist viel zu dünn, doch wir sind uns sicher, mit viel Zutun, Liebe und Leckerchen wird sie zu einer starken, großartigen Katzendame heranwachsen.
In Zimmer 6 sitzen sie und warten auf das wohlige, warme Heim, dass sie sich nach dieser schweren Anfangszeit verdient haben.
Es ist Montagmorgen, und der erste Anruf geht ein. Der erste Interessent möchte vorbeikommen und sich Linus und Rob ansehen, denn sie sehen seinem verstorbenen Katerduo so wahnsinnig ähnlich.
Einen schönen, abgelegenen Hof hat er sagt er, Katzen hält er schon seit 25 Jahren.
Weil er sich so gut anhört, laden wir ihn ein, Rob und Linus kennenzulernen.
Am Nachmittag schon sitzt er im Zimmer 6 auf einem Stuhl und sieht erwartungsvoll zu dem Geschwisterpaar, doch alle Babys verstecken sich.  Fremde Leute kennen sie nicht, machen lieber einen Rückzug und beobachten ihn aus sicherer Entfernung.
Er startet einen Versuch, Rob zu streicheln, doch er faucht ihn an und verschwindet durch die Katzenklappe, klettert nach oben auf einen Ast. „Das muss wohl wieder so einer sein, der mir eine eklige Tablette geben möchte!“
Nach etwa 10 Minuten verlässt er das Zimmer. Wir fragen ihn, wie es gelaufen ist und ob er sich dazu entschieden hat, den beiden ein neues Zuhause zu geben.
„Die beiden haben mich nicht ausgesucht“ meint er, „sie sind so scheu.“
Wir sollen uns melden, wenn wir wieder zutrauliche Katzen „reinbekommen“, denn er möchte liebe, verschmuste, kleine Kätzchen, damit seine Tochter viel Freude mit ihnen hat.

Gegen Dienstagmittag geht der zweite Anruf ein.
Eine Familie interessiert sich für die Kätzchen aus Zimmer 6. Sie sagen, sie können einen ruhigen großen Garten bieten, die Tierärztin wohnt nebenan und scheue Katzen hatten sie früher schon.
Nur eine Stunde später sind sie schon bei uns, verlieben sich sofort in Luna. „Wir möchten Sie sofort mitnehmen“.
Wir fragen sie, ob sie denn eine andere Katze zuhause haben, bestenfalls im gleichen Alter. Denn Luna genießt die kätzische Gesellschaft so sehr. Die Tatsache, dass die noch immer ängstliche, dünne und zierliche Luna ohne Geschwisterchen oder zumindest Artgenossen auszieht wollen wir nicht verantworten.
„Wir wollen nur eine Katze, denn als wir zwei hatten, waren sie unabhängiger von uns und nicht so schmusig“, heisst es von dieser Familie.
Leider müssen  wir ablehnen, denn das ist aus unserer Sicht nicht das richtige Plätzchen für sie.
Böse Worte fallen dafür, sie sagen, wir wollen ihnen nur mehr Katzen aufschwatzen, damit wir mehr Geld verdienen. Meinen, sie holen sich nun ein Kätzchen vom Bauernhof.
Noch bevor wir etwas dazu sagen können, verlässt die Familie das Tierheim.

Enttäuscht warten wir ein paar Tage, bis der dritte Anruf eingeht. Diesmal sind es aber bestimmt die Richtigen! 
Eine geschiedene Mutter, zwei ältere Kinder, Luna und Rob sollen es werden.
Wir sprechen lange und ausführlich über die artgerechte Ernährung, die Eingewöhnungszeit zu Hause, wichtige Impfungen, tierärztliche Check-Ups und die Kastration ab einem bestimmten Alter.
Da wir uns in allen Punkten einig sind und die Mutter sowie die Kinder hellauf begeistert scheinen, entschließen wir uns also dazu, den Schutzvertrag aufzusetzen.
Es wird alles besprochen, bis ins kleinste Detail.
Wir erklären, dass die Kätzchen bei Auszug zweifach geimpft, dreifach entwurmt und gechippt sind, sie außerdem die Möglichkeit haben einen günstigen Kastrationsgutschein bei uns zu erwerben.

Sie ist mit allem einverstanden und wir gelangen zum letzten Punkt des Vertrags. Die Schutzgebühr.
Wir sagen ihr, dass wir für eine Katze 80 Euro Schutzgebühr erheben. Diese beinhaltet allerdings alle tierärztlichen Untersuchungen, die Impfungen, Entwurmungen, den Chip.
Sie erstarrt. „Ihr verlangt Geld für eine Katze aus dem Tierheim? Solltet ihr nicht froh sein, dass sie aus dem Tierheim raus sind? Das hätten Sie mal lieber am Anfang gesagt, dann wären wir erst gar nicht gekommen.“

Wir überlegen kurz. Wir denken an die vielen schlafarmen Nächte, in denen der Wecker alle zwei Stunden klingelte. Wir denken an den Eiter, der aus den Augen der Kitten lief, an die aufgequollenen Bäuche, an die Spendenaufrufe für Katzenmilch, an die hüpfenden Flöhe im Tierarztzimmer und an die unzählig oft getesteten, blutigen Kotproben. Wut und Trauer steigen in uns auf, für die Aussage dieser Frau.
Die Gefühle kommen hoch und wir möchten ihr dies alles sagen. Doch stattdessen bleiben wir sachlich, erklären, dass viel mehr Aufwand und Kosten mit diesen Tieren verbunden sind, als sie jemals zahlen müsse, stellen eine Liste auf auf der ersichtlich wird, dass sie bereits für zwei Impfungen und mit Glück einer Entwurmung bei einem normalen Tierarzt mit 80 Euro vorstellig werden darf. Davon abgesehen möchten wir sichergehen, dass die Anschaffungen von Tieren wohlüberlegt sind und nicht nur wahrgenommen werden, „weil´s ja eh nichts kostet.“
Die Argumentationen schlagen fehl.
Sie dachte sich, sie tut was Gutes, wenn sie sich Katzen aus dem Tierheim holt. Doch das ist reine Geldmacherei. Ihre Nachbarin züchtet nämlich Katzen und da kostet ein Katze nur 50 Euro.

Wütend fährt die Frau nach Hause. Wir gehen enttäuscht in die Katzenküche, rühren den Milchbrei für Luna an und setzen uns zurück in Zimmer 6.

Liebe Tierfreunde,
Wir arbeiten 40 Stunden, meist viel mehr in der Woche, an 365 Tagen im Jahr. Scheuen keine Mühen, keine Anstrengungen. Fahren mit Polizeibegleitung in verwahrloste Häuser und packen Tiere ein, stehen auch um 22 Uhr abends im Tierheim, wenn ein Hund gefunden wurde. Sind regelmäßig an der Grenze, um illegal eingeführte Welpen in schrecklichem Zustand aufzunehmen. Wir sehen unendlich viel Leid hinter verschlossenen Türen. Jedes einzelne Tier liegt uns am Herzen wie unser eigenes.
Bitte habt Verständnis dafür, dass wir auch mal „Nein“ sagen, wenn wir kein gutes Gefühl haben.